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Mira Magén, Wodka und Brot | Rezension

Verlust verschmer­zen

Gide­ons Eltern „such­ten nach der Schrau­be, die bei uns locker war“. Denn welcher Star­an­walt schmeißt einfach alles hin, während seine Frau, die ehemals gut verdie­nen­de Steu­er­be­ra­te­rin, sich in den von ihren Eltern geerb­ten Krämer­la­den stellt, um Brot zu verkaufen?
Wodka und Brot spielt im moder­nen Isra­el: „Nicht jedes Leid hat mit der Shoa zu tun“. Und nicht immer steckt eine Frau dahin­ter, wenn jeman­dem „das Gefühl abhan­den kommt“ und er die große Liebe und den gemein­sa­men Lebens­traum verlässt, wie Gide­on, der Mann der Erzäh­le­rin Amia und Vater ihres fünf­jäh­ri­gen Sohnes.

Während Amia versucht zu verste­hen, warum Gide­ons Sinn­su­che als Fischer am roten Meer ihn immer weiter entfernt, zieht sie mit dem Jungen an den Stadt­rand von Tel Aviv. Auch wenn nicht alle so drama­tisch in ihr Leben fallen, wie „die klei­ne russi­sche Hure“ Madon­na in der groß­ar­ti­gen nächt­li­chen Anfangs­sze­ne, werden Mutter und Sohn bald Teil einer Art neuen Fami­lie, inklu­si­ve Wodka, dem Hund.
„Die Sonne, die über unse­re Dächer strich, war alt und schlecht gelaunt“, beschreibt Magén den begin­nen­den Herbst. Wie in allen Roma­nen der israe­li­schen Best­sel­ler­au­torin ist jedes Wort, ist jeder Satz wohl gewählt. Es ist ihre lako­ni­sche Spra­che mit über­ra­schen­den, eindring­li­chen Bildern, die immer wieder Stau­nen und Schmun­zeln machen. Und dann sind da die mensch­li­chen Charak­te­re, die ihren neues­ten Roman bevöl­kern. Alle haben sie „an der Börse des Schick­sals“ Verlus­te erlit­ten, sei es Madon­na, die mit ihrer Fami­lie gebro­chen hat, oder der gran­ti­ge Vermie­ter Herr Levy, hinter dessen „Woher wissen Sie das? Sind Sie Gott?“ ein tragi­scher, zerstö­re­ri­scher Schick­sals­schlag steckt. Oder sein Sohn Amos, der zehn Jahre lang nicht mit ihm gespro­chen hat.

Nicht immer kann sich Amia erfolg­reich „am Hier und Jetzt berau­schen“, um von ihrer Ehekri­se abzu­len­ken. Wie wird man damit fertig, wenn der eige­ne Mann sich immer weiter entzieht, auch dem Bild, das man von ihm hatte und immer neu von ihm macht: „Man kann hundert Jahre mit einem Menschen leben und weiß doch nichts von ihm“ und seinen – wie sich heraus­stellt - wahren Beweggründen.
Beein­dru­ckend, wie oft man denkt: Ja, genau so würde man in dieser oder jener Situa­ti­on denken, genau so würde man sein Kind beschüt­zen wollen, genau so würden die Gedan­ken versu­chen, die Konse­quen­zen abzu­wä­gen, die Bitter­keit abzu­weh­ren. Und ja, wie ist das Schick­sal doch abhän­gig von einer zufäl­li­gen Begeg­nung, von der einen Sekun­de zu früh oder zu spät, und wie wenig lässt es sich letzt­lich planen.

Liebe, Verlust und wie man trotz­dem weiter lebt – das steht im Zentrum des Romans der Anfang der 50er Jahre gebo­re­nen Autorin. Magén ist prak­ti­zie­ren­de ortho­do­xe Jüdin, die sich als Pend­le­rin zwischen dem moder­nen und dem tradi­tio­nel­len Isra­el versteht. Ihre Erzäh­le­rin schließt keinen Frie­den mit Gott, aber sie gibt ihm eine Chan­ce. Bis zur letz­ten Seite ist Wodka und Brot eine span­nen­de, sinn­li­che und nicht zuletzt sehr lebens­be­ja­hen­de Lektüre.

Mira Magén (Isra­el)
Wodka und Brot. Roman
Wodka ve Lechem
Aus dem Hebräi­schen von Mirjam Pressler.
Deut­scher Taschen­buch Verlag, 2012
393 S., 16,90 EUR , 23,90 SFr
ISBN: 978-3-423-24923-2

Afrikanische Kunst auf dem Weltmarkt

Der gesam­te Konti­nent wurde bis dahin völlig über­se­hen oder nur als chro­nisch von Krank­heit, Epide­mien, Hunger und Krie­gen heim­ge­sucht wahr­ge­nom­men. Die Dinge haben sich verän­dert, trotz der Fanta­sien und Ressen­ti­ments, die Afri­ka immer noch bei denen hervor­ruft, die nie dort­hin gereist sind und nichts von den großen Verän­de­run­gen, dem ökono­mi­schen Wachs­tum und den frucht­ba­ren Kunst­sze­nen wissen.

Nur ein vages Bild
Der Erfolg von Künst­lern der Diaspo­ra wie Barthé­lé­my Toguo oder Pascal Mart­hi­ne Tayou hat auch die Künst­ler vom Konti­nent stär­ker ins Schein­wer­fer­licht gerückt und ihren Markt ange­kur­belt. Vor kurzem begann Fran­çois Pinault, massen­haft afri­ka­ni­sche Foto­gra­fie zu erwer­ben, und er hat auch Werke von Nico­las Hlobo oder Ousma­ne Sow gekauft. “Diese Künst­ler sind durch und durch afri­ka­nisch und univer­sell“, betont André Magnin, einer der wich­tigs­ten Händ­ler auf diesem Gebiet. Vor drei Jahren ging die 1:54, eine neue, komplett der afri­ka­ni­schen Gegen­warts­kunst gewid­me­te Messe in London während der Frie­ze-Kunst­wo­che mit großem Erfolg an den Start. “Zu ihrer letz­ten Ausga­be kamen viele Samm­ler, die eigent­lich die Frie­ze besu­chen, und zeig­ten sich sehr enthu­si­as­tisch. Die meis­ten von ihnen hatten bisher nur ein sehr vages Bild von afri­ka­ni­scher Kunst“, berich­tet Touria El Glaoui, Grün­de­rin und Direk­to­rin der Messe, die dieses Jahr vom 15. bis 18. Okto­ber statt­fin­den wird. Eine weite­re Messe mit dem Titel AKAA (kurz für: Also known as Afri­ca, zu deutsch: Auch als Afri­ka bekannt) wird am 3-6. Dezem­ber in Paris Premie­re feiern.

Nur weni­ge Samm­lun­gen mit Schwer­punkt Afrika
Abge­se­hen von Jean Pigoz­zi und Hans Bogatz­ke, dessen Samm­lung zum Teil von dem afri­ka­ni­schen Samm­ler Sindi­ka Doko­lo gekauft wurde, haben nur weni­ge Samm­ler afri­ka­ni­sche Kunst zum Haupt­be­stand­teil ihrer Samm­lung gemacht. Zu denen, die es getan haben, gehö­ren Gervan­ne und Matthi­as Léri­don. Einer der Grün­de dafür ist, dass nur wenig produ­ziert wird. Ein Künst­ler wie Cheri Samba, Star einer popu­lä­ren Kunst­be­we­gung im Kongo, produ­ziert im Jahr nur ein Dutzend Bilder. Aber der Markt ist mit neuen Samm­lern aus Afri­ka in Schwung gekom­men, darun­ter (Kongolese,d.Ü.) Sindi­ka Doko­lo oder der junge, (in London lebende,d.Ü.) Nige­ria­ner Theo Danjuma.

Meist sehr bezahl­ba­re Preise
Obwohl die Prei­se für eini­ge Künst­ler wie den ghanai­schen Bild­hau­er El Anatsui oder den britisch-nige­ria­ni­schen Künst­ler Yinka Shoni­ba­re in die Höhe geschnellt sind, sind die meis­ten afri­ka­ni­schen Künst­ler noch sehr gut zu bezah­len. “Die Samm­ler begin­nen zu reali­sie­ren, dass sie wich­ti­ge Künst­ler kaufen können, die nur ein Zehn­tel von dem kosten, was sie für so genann­te inter­na­tio­na­len Künst­ler zahlen müssen“, sagt André Magnin. „Ein großes Gemäl­de von Cheri Samba kostet €100.000. Bei diesem Preis­ni­veau könn­te man 20 Quadrat­me­ter eines chine­si­schen Gemäl­des kaufen! Warum soll­ten Samm­ler nicht afri­ka­ni­sche Kunst erwer­ben, während sie chine­si­sche oder indi­sche Künst­ler zu hohen Prei­sen kaufen?“

Auktio­nen noch zurückhaltend
Dennoch sind die Auktio­nen noch zurück­hal­tend. 1999 wurden eini­ge Werke der Pigoz­zi-Samm­lung bei Sotheby’s mit gemisch­ten Ergeb­nis­sen verkauft. Noch nicht so lange her orga­ni­sier­te André Magnin Auktio­nen in Paris, aber ohne großes Aufse­hen zu erre­gen. Unwei­ger­lich werden die Prei­se stei­gen, Schritt für Schritt. Noch braucht Afri­ka mehr Enga­ge­ment seitens loka­len Käufer und seiner eige­nen Regie­run­gen. Eini­ge afri­ka­ni­sche Samm­ler haben die Förde­rung afri­ka­ni­scher Kunst bereits zu ihrer Missi­on gemacht. In Benin hat die Zinsou-Fami­lie ein Muse­um aufge­baut, das erste dieser Art in Afri­ka, und unter­stützt uner­müd­lich loka­le Künst­ler. Der Maler Barthé­lé­my Toguo versucht eben­falls durch den Bau des Band­joun Stati­on Art Center in West­ka­me­run, afri­ka­ni­sche Künst­ler zu fördern. Aber bisher sind die großen Initia­ti­ven zumeist auf Südafri­ka begrenzt, wo es zwei Kunst­mes­sen und Gale­rien gibt und bald ein Muse­um für zeit­ge­nös­si­sche Kunst eröff­net, das der priva­te Samm­ler Jochen Zeitz bauen lässt. “Loka­le Unter­stüt­zung, Inves­ti­tio­nen zum Aufbau von Muse­en, Kunst­zen­tren, Festi­vals und Bien­na­len sind zwin­gend erfor­der­lich”, sagt 1:54-Gründerin Touria El Glaoui. “Afri­ka braucht auch mehr Galerien.”

Roxa­na Azimi/ Über­set­zung: Caro­la Torti